In eine andere Welt

„Singen tut dem Körper gut, es hebt die Stimmung und es ist wie eine eigene Sportart – nur eben auf dem Stuhl“, so sagt es Andrea Laun-Tempel. Seit 2017 leitet die Assistentin der Geschäftsführung am Diak Klinikum schon den Parkinson-Chor. In dieser Gesangsgruppe, die einmal wöchentlich gemeinsam probt, treffen sich Menschen mit und ohne Parkinson-Erkrankung. Die älteste Sängerin ist inzwischen 94 Jahre alt, aber auch jüngere Männer und Frauen sind engagiert dabei.

Bild: 2019.

Dass Musik heilende Kräfte im Menschen wecken kann, ist kein Geheimnis. Ob in Gemeinschaft oder alleine – zu musizieren bringt das Gehirn auf Trab und sorgt dafür, dass alle Gehirnzellen miteinander kommunizieren. Das weiß auch Musiktherapeutin Magdalena Nowak. Die studierte Musikerin und Musikpädagogin hat berufsbegleitend noch das Studium zur Musiktherapeutin abgeschlossen. Am Diak Klinikum begleitet sie Menschen mit Demenz und ist für Patienten mit neurologischen Erkrankungen zuständig. Sie ist auch Mitglied im Team der Multimodalen Schmerztherapie. „Musik hat, anders als beispielsweise Sprache, kein eigenes Zentrum im Gehirn. Das heißt, dass beim Singen das gesamte Gehirn aktiviert wird, alle Zellen miteinander kommunizieren und so gefördert werden“, sagt Musiktherapeutin Nowak. „Die Kommunikation der Gehirnzellen untereinander sorgt dafür, dass diese sich weiterentwickeln. Neuroplastizität nennt das der Mediziner. Und genau diese Neuroplastizität ist für Menschen mit Parkinson, Demenz oder anderen neurologischen Erkrankungen wichtig.

„Das Singen stimuliert aber nicht nur die Hirnzellen und trägt so zu deren Erhalt bei, sondern es trainiert beispielsweise auch die Atemmuskulatur“, weiß Musiktherapeutin Nowak. Es ist ein komplexer körperlicher Vorgang. Nicht nur eine Melodie muss gehalten werden, dazu kommt die Atmung, das Einhalten bestimmter Pausen, die Sängerinnen und Sänger müssen aufeinander achten und dann ist beim Singen natürlich auch die Einhaltung des Textes eine feste Größe. „Das stimuliert den ganzen Körper“, so Nowak.

Der Krankheit nicht die Oberhand lassen

Andra Laun-Tempel musiziert schon ihr ganzes Leben lang. Neben Klavier, Geige und Orgel ist sie seit  vielen Jahren in Chören aktiv. Sie weiß also genau, worauf es beim Singen ankommt. „Miteinander Musik zu machen, das weckt Emotionen. Deshalb achte ich darauf, dass im Parkinson-Chor immer alte Lieder, die allen bekannt sind und mit denen positive Erinnerungen verbunden werden, gesungen werden. Zugleich will ich aber auch neue Melodien und Texte mit den Menschen ausprobieren – da sind sie gefordert und die kognitiven Fähigkeiten werden verbessert bzw. trainiert.“ Am Schönsten für die Chorleiterin ist dabei, dass die Sängerinnen und Sänger Erfolgserlebnisse verzeichnen. „Viele der Betroffenen merken, dass ihr Alltag von der Erkrankung bestimmt wird. Aktivitäten, die früher gang und Gäbe waren, fallen schwer, der Körper baut ab. Es besteht das Gefühl, das es oft nur noch bergab geht.“ Wenn aber gemeinsam gesungen wird, dann entsteht auf einmal ein Gemeinschaftsgefühl und die Patienten erkennen, dass sie eben doch noch Neues lernen können. „Das ist berührend, nicht nur für mich“, ergänzt Laun-Tempel. „Singen bringt sie in eine andere Welt – eine, in der sie sich entspannen können, aber die auch belebend auf sie einwirkt und die persönliche Entwicklung fördert.“

Gemeinsam aktiv sein

Auch für den Erhalt der Sprachmelodie kann Singen ein gutes Training sein. Davon ist Musiktherapeutin Magdalena Nowak überzeugt. „Parkinsonpatienten leiden bei fortgeschrittener Erkrankung häufig unter einer sehr monotonen Sprechweise. Das Einhalten einer Melodie und damit verbunden auch die veränderte Atmung trainieren somit auch die Sprachmelodie.“ Der größte Benefit des Chores ist es aber, da sind sich die Chorleiterin und die Musiktherapeutin einig, in Gemeinschaft etwas zu erleben und zu erschaffen. „Das Bewusstsein, mit dem Singen das Gehirn zu trainieren, gibt den Betroffenen das Gefühl, selbst aktiv gegen ihre Krankheit ankämpfen zu können, auch wenn sie nicht heilbar ist. Aber es ist das Bewusstsein, den Verlauf hinauszuzögern.“

Eine so lebensverändernde und einschneidende Diagnose wie Parkinson zu erhalten, verändert nicht nur das Gefühl für den eigenen Körper, die Symptome greifen auch tief in den Alltag der Menschen und ihrer Angehörigen ein. Nicht selten sind Depressionen eine Begleiterkrankung. Aber auch das Zurückziehen und die Einschränkung alter Gewohnheiten geht damit einher. „Mit dem Parkinson-Chor haben wir auch eine psychosoziale Anlaufstelle für die Patienten geschaffen. Sie sind hier in einem geschützten Rahmen mit Menschen zusammen, die den selben Leidensweg durchleben, wie sie selbst. Sie erleben eine stärkende Gemeinschaft. Daraus entstehen schöne Kontakte, sogar Freundschaften“, sagt Andrea Laun-Tempel. Ein ermutigendes Signal für die Betroffenen und ihre Angehörigen.

Der Parkinsonchor finden ab sofort wieder jeden Dienstag zwischen 14:00 und 15:00 Uhr auf Grund der Hygiene- und Abstandsbestimmungen in der Auferstehungskirche auf dem Diak Gelände statt. Willkommen sind alle Menschen, die gerne singen – mit und ohne Parkinsonerkrankung. Der Chor ist ein Angebot der Klinik für Neurologie und Gerontoneurologie unter Leitung von Chefärztin Priv.-Doz. Dr. Birgit Herting.

Die Musiktherapie am Diak Klinikum wird rein durch Spenden finanziert.

Klinik für Neurologie MS-Zentrum Parkinsonzentrum

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