Goldenes Händchen für Knochen

Seit fast sieben Monaten ist Professor Dr. Stefan Huber-Wagner Unfallchirurgie-Chefarzt im Haller Diak-Klinikum. Vom Münchner Uniklinikum rechts der Isar bringt er bereits viel Erfahrung mit. Von Bettina Lober, Haller Tagblatt

Im Chefarzt-Büro von Professor Dr. Stefan Huber Wagner gibt es eine spannende Ecke: mit Wirbelsäulen, Beckenknochen und anderen Skelettteilen – alles Modelle, alles aus Kunststoff, versteht sich. Als Unfallchirurgie-Chefarzt hat er den gesamten Bewegungsapparat des Menschen im Blick. Wenn der Mediziner Eingriffe und Operationsmethoden erläutert, greift er kurzerhand in jene Ecke nach einem Wirbelsäulenmodell und kann anschaulich erklären, wie er sowie seine Kollegen bei der Behandlung vorgehen werden.

Der 48-Jährige hat am 1. Juli die Nachfolge Dr. Dieter Richter als Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie angetreten. Die Stellenausschreibung habe ihn gleich angesprochen. In Hall habe alles gepasst – "super Umfeld, super kompetente Kollegen", sagt Huber- Wagner. Alle für einen Unfallchirurgen wichtigen Partner-Fachdisziplinen seien im Diak in hervorragender Weise vorhanden. Er selbst kommt vom Münchner Universitätsklinikum rechts der Isar und bringt allerhand Erfahrung und Wissen mit ins Kochertal, was er mit und im hiesigen Team auch umsetzen und weiterentwickeln möchte. Zum Beispiel bei Operationen der Halswirbelsäule: "Es wird von vorne und auch von hinten operiert", erklärt Hube die Zugangsmöglichkeiten der Operateure, wenn sie Frakturen, also Brüche, versorgen oder infolge von Tumoren behandeln.

Operationen an der Wirbelsäule sind hochsensible Angelegenheiten: Im Spinalkanal der Wirbelsäule verläuft das Rückenmark. Schrauben, Nägel, Stützen. Auch der Einsatz der Schlüssellochtechnik werde erweitert. Huber-Wagner zeigt eindrucksvoll, wie durch kleine Schnitte an verschiedenen Stellen und spezielles Gerät instabile Brüche von Wirbeln etwa mit Schrauben, Nägeln und variablen Stützelementen gesichert und stabilisiert werden können. Die minimalinvasive Methode sei sicherlich kein Allheilmittel, räumt der Chefarzt ehrlich ein.

Aber wenn  sie einsetzbar ist, sei sie für den Patienten weniger belastend. Werden die Mediziner mit Frakturen beispielsweise am Kreuzbein konfrontiert, "muss man die Wirbelsäule häufig auf dem Becken abstützen – eine spinopelvine Stabilisation", sagt Huber-Wagner und zeigt als Beispiel ein Röntgenbild mit allerlei erkennbaren Befestigungen und Verstrebungen. Die Eingriffe hierfür mit feinen Bohrern müssen äußerst präzise geführt werden, weil keine danebenliegenden Nervenbahnen oder Gefäße verletzt werden dürfen. Vor einiger Zeit behandelte Huber-Wagner in Hall eine Patientin, die gestürzt war und sich mehrere Brüche des Beckenrings zuzog. Das Becken wurde mehrfach fixiert und an der Wirbelsäule verstrebt – eine schwierige OP. Für Laien mag das Röntgenbild ob der sichtbaren Verschraubungen zunächst beängstigend wirken, "aber der Frau geht es gut, sie kann wieder aufstehen".

Moderne Knochenersatzstoffe Huber-Wagner berichtet weiter von Methoden wie der Radiofrequenzablation. Dabei werden zum Beispiel mit feinen Sonden in der Nähe von Wirbelkörpern Metastasen zerstört. Er hat neuartige Knochenersatzstoffe im Blick: biokeramischer Knochenzement mit Antibiotika quasi als implantierter Infektionsschutz – "ein guter Zusatz für komplizierte Situationen".

So könne die Häufigkeit belastender Operationen gesenkt werden. Von der Versorgung von Hüftpfannenbrüchen über den Einsatz moderner Implantate bei Schlüsselbeinbrüchen oder Frakturen des handgelenksnahen Speichenknochens bis zur Korrektur posttraumatischer Fehlstellungen – die Palette der Verletzungen und Aufgaben für den Mediziner ist breit gefächert. Die gute Zusammenarbeit mit den anderen Fachdisziplinen im Haus liegt ihm sehr am Herzen: "Als Unfallchirurg können Sie niemals nur alleine agieren. Sie brauchen bei komplexen Fällen Partner aus anderen Fachgebieten, um die Probleme interdisziplinär zu lösen."

Wer mit Huber-Wagner über die Möglichkeiten moderner chirurgischer Behandlungsmethoden spricht, spürt gleich seinen motivierten Tatendrang. Er sei jemand, der nicht nur über Lösungen nachdenken, sondern sie auch mit eigenen Händen umsetzen möchte, sagt er. Woher seine Faszination für die Medizin stammt? Eine "familiäre Vorbelastung" habe es jedenfalls nicht gegeben. Seine bislang einzige Erfahrung als Patient in der Chirurgie hat er als Vierjähriger gemacht: "Mein Oberschenkel war gebrochen, ist beim Spielen mit meinem Bruder passiert." An die Zeit im Krankenhaus und den lästigen Gips hat Huber-Wagner gar keine guten Erinnerungen. Zivildienst im OP Aber im Alter von zwölf Jahren habe er eine Radiosendung gehört, in der ein Unfallchirurg derart begeistert von seiner Arbeit berichtete, dass in dem Allgäuer Buben ein Funken entzündet war.

Der Vater eines Mitschülers war Chirurg in der örtlichen Klinik in Marktoberdorf. Noch vor dem Abitur durfte er dem Arzt im OP über die Schulter schauen – was seinen Entschluss fürs Medizinstudium bestätigte. Sein klares Ziel: Unfallchirurg werden. "Meinen Zivildienst habe ich auch im Krankenhaus im OP geleistet." Er kennt das Geschäft also von der Pike auf. Das Studium führt ihn nach München, wo er während seines Werdegangs an beiden Münchner Universitätskliniken eine breite Ausbildung erfährt. Nun nach Hall zu kommen und in Eigenverantwortung mit seinem neuen Team die Arbeit weiterzuentwickeln, ist für ihn nur konsequent.

Er fühlt sich wohl: "Es gibt hier ein wahnsinnig breites Spektrum." Noch wohnt Huber-Wagners Familie in München. Aber im Sommer werden seine Frau und die beiden Töchter nach Hall ziehen. Immerhin hat sich der 48-Jährige inzwischen ein E-Bike 3 zugelegt und auch schon ein paar Runden in der Umgebung gedreht. Übrigens: Unter den Modell-Beckenknochen in Huber-Wagners Büroecke ist auch ein mit goldener Farbe angemaltes Exemplar – "das habe ich von den Schwestern in München zum Abschied bekommen". Zweifelsohne, weil er halt ein goldenes Händchen für Knochen hat.

Chirurgie II: Unfallchirurgie und Alterstraumatologie

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