… so um mein Bein gekämpft…

Als Benedikt Schlipf im Februar 2020 wieder zu sich kommt, liegt der 35-jährige zunächst in einem auswärtigen Krankenhaus. Mit einem Freund war er gemeinsam in einer Kleinstadt in Süddeutschland unterwegs, als ein Roller-Fahrer ihn anfährt, schwer verletzt und Fahrerflucht begeht. Für den jungen Mann aus Wüstenrot beginnt nun ein langer Leidensweg. Am Diak Klinikum in Schwäbisch Hall konnte ihm nach mehreren operativen Eingriffen durch Professor Dr. Stefan Huber-Wagner, dem Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie, Wirbelsäulenchirurgie und Alterstraumatologie, geholfen werden.

„Das schönste ist, dass ich jetzt endlich wieder all die kleinen Selbstverständlichkeiten machen kann, die mir jetzt über ein Jahr nicht möglich waren – endlich kann ich wieder Einkaufen oder Rasen mähen“, freut sich Benedikt Schlipf aus Wüstenrot. Das war lange Zeit nicht selbstverständlich für den jungen Mann. Mit einem Freund in Süddeutschland unterwegs, wird er angefahren - sein Unterschenkelknochen zertrümmert. „Man hat mich sofort ins nächste Krankenhaus vor Ort gebracht, wo mir ein sogenannter Marknagel in den Unterschenkel eingesetzt wurde.“ Der sollte eigentlich den Knochen stabilisieren und Schlipf helfen, schnell wieder gesund zu werden. Stattdessen entzündet sich der Knochen und dem gelernten Karosseriebauer geht es schlechter und schlechter. Zu Hause bei seinen Eltern in Wüstenrot bringen sie ihren Sohn ins Diak Klinikum in Schwäbisch Hall.

„Am Diak wurden mir erstmal Blutwerte genommen – die Ärzte haben sofort gesehen, dass die extrem schlecht waren und die Entzündungsmarker sehr hoch. Zudem wurde beim Röntgen noch festgestellt, dass der Nagel, der mir im anderen Krankenhaus eingebracht wurde, nicht optimal lag. Der musste dann sofort raus“, erzählt Benedikt Schlipf. Bei Professor Dr. Stefan Huber-Wagner und seinem Team von der Klinik für Unfallchirurgie, Wirbelsäulenchirurgie und Alterstraumatologie fand Schlipf Hilfe.

Ein Ring-Fixateur kommt zum Einsatz

„Die Werte von Herrn Schlipf waren besorgniserregend. Derartige Entzündungen sind schwierig zu behandeln,“ sagt der Chefarzt. Werden sie nicht rechtzeitig erkannt, kann eine Knochenentzündung bis hin zu einer Amputation des Beines oder gar zum Tod des Patienten führen. „Unser oberstes Ziel war es, das Bein von Herrn Schlipf zu erhalten. In einer ersten Operation mussten wir zunächst den auswärtig implantierten Marknagel aus dem Knochen entfernen und einen sogenannten vorläufigen Fixateur anbringen“, so der Chefarzt. Ein Fixateur ist eine Art äußere Haltevorrichtung zur Ruhigstellung von Knochen. Insbesondere bei sehr schweren Knochenbrüchen kommt sie meist vorübergehend zum Einsatz. „Da der Unterschenkel von Herrn Schlipf zertrümmert war und der Knochen und Unterschenkel stark entzündet, konnten wir nicht einfach einen neuen Nagel ins Bein einbringen. Das hätte die Situation nur verschlimmert. Deshalb haben wir den Fixateur im stabilen Knochen oberhalb und unterhalb der Fraktur verankert.“

Der Knochen, genauer gesagt der Markraum im Innern des Knochens, wurde mit einem neuartigen, innovativen Knochenzement aufgefüllt. „Dieser Zement ist besonders geeignet bei Knochenentzündungen, denn er sondert ein Antibiotikum in hoher Konzentration im Knochen ab. Der Zement wirkt direkt vor Ort und kann somit in den ersten vier Wochen die Erreger im und um den Knochen sehr wirksam bekämpfen“, erläutert Huber-Wagner. Im Verlauf wird dieser spezielle Knochenzement dann in Knochen umgewandelt. Ein ausgesprochen innovativer Ansatz, der erst seit wenigen Jahren zur Verfügung steht.

Laufen neu erlernen

Nach vier Wochen konnte der provisorische Fixateur abgenommen werden und durch einen sogenannten Ringfixateur ersetzt werden. „Der ist wesentlich stabiler als ein Provisorium und kann über mehrere Monate getragen werden, ohne auszulockern“, erläutert Huber-Wagner. „Der Ringfixateur ist ein Rahmenkonstrukt, das viele Verbindungen in verschiedene Knochenabschnitte hat. Fixiert wird das Gerüst in gesunden Knochenbereichen, damit der gebrochene Teil gut stabilisiert werden kann.“ Rund neun Monate muss Benedikt Schlipf danach mit dem Fixateur leben. „Ich musste alle drei Wochen zur Kontrolle ans Diak kommen – denn da die Pins des Konstrukts in das Bein und die Knochen hinein implantiert sind, musste immer wieder kontrolliert werden, ob sich keine Keime darin verfangen haben.“ Tägliches intensives Reinigen der Vorrichtung war hierfür das wichtigste.

Das Anlegen eines Ringfixateurs ist eine komplexe Angelegenheit, die viel Fachkompetenz und Erfahrung erfordert. Das Benedikt Schlipf heute schmerzfrei sein Leben bestreitet, und das trotz eines ganzen Jahres Leidensdrucks, verdankt er aber neben Professor Huber-Wagner auch den Entwicklungen und Forschungen in der Medizin. Huber-Wagner erklärt: „Früher haben Patienten mit einem solchen Krankheitsbild häufig viele Operationen über sich ergehen lassen müssen. Knochenentzündungen wurden mit wiederholten Spülungen der betroffenen Stellen behandelt. Der Weg zur Genesung war manchmal mit einer zweistelligen Anzahl an Operationen verbunden. Mit diesen neuartigen Werkzeugen in der Hand, kann man solche Situationen heutzutage meist in einer oder zwei Operationen lösen.“

Endlich wieder Fahrrad fahren

Während der neun Monate, die Schlipf auf den Fixateur angewiesen war, brauchte er viel Unterstützung. „Ich bin wahnsinnig dankbar und froh, dass meine Eltern mir so geholfen haben. Ich konnte ja wirklich gar nichts alleine“, sagt er heute. Sogar das Laufen habe er neu lernen müssen.

„Nach einigen Monaten konnten wir, weil sich der Knochen so gut entwickelt hat, den Fixateur ein paar Millimeter lockern, so dass beim Auftreten in der Achse des Schiebeins ein minimales Gleiten möglich und erwünscht war“, sagt Professor Huber-Wagner. „Man muss sich das so vorstellen – durch diese sogenannte Dynamisierung wird auf den Knochen wieder ein mechanischer Reiz ausgeübt, der letztlich erforderlich ist, um die Knochenheilung zusätzlich zu stimulieren.“

Am 17. Februar 2021, also rund ein Jahr nach dem schweren Unfall, wird Benedikt Schlipf der Ring-Fixateur abgenommen und nach erfolgreicher Behandlung des Infektes ein neuer Marknagel eingebracht, der von nun an den Unterschenkelknochen von innen endgültig stabilisiert. „Es ist verrückt, aber ich kann jetzt endlich wieder die kleinen Sachen machen, die vorher nicht denkbar waren. Fahrrad fahren zum Beispiel. Und das habe ich Herrn Professor Huber-Wagner zu verdanken. Ich bin so froh, dass er und sein Team so sehr um mein Bein gekämpft haben. Ich weiß nicht, ob ich ohne seinen Einsatz heute hier sitzen würde und ob ich dann noch zwei Beine hätte“, sagt Benedikt Schlipf abschließend.

Traumazentrum Chirurgie II: Unfallchirurgie und Alterstraumatologie

weitere Bilder