Wie umgehen mit psychischen Erkrankungen? Dr. Helmut Harr klärt auf.

Körper und Seele gehören untrennbar zusammen. Geht es dem Körper schlecht, leidet oft auch die Psyche, anders herum ist es genauso. Anlässlich des Tags der Seelischen Gesundheit am 10. Oktober sprachen wir mit unserem Chefarzt der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie in Schwäbisch Hall, Dr. Helmut Harr.

„Grundsätzlich sind psychische Erkrankungen genauso ernst zu nehmen wie körperliche“, betont Dr. Helmut Harr gleich zu Beginn. „Seit 2003 sind psychische Erkrankungen der Hauptgrund für Frühverrentungen innerhalb der deutschen Gesellschaft. Das zeigt deutlich die Dringlichkeit des Problems und macht auch sichtbar, welche enormen wirtschaftlichen Dimensionen eine Nichtentdeckung oder Nicht-Behandlung einer psychischen Erkrankung haben kann.“ Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist Gesundheit der Zustand von körperlichem, seelischem und sozialen Wohlbefinden. Hier ist schon erkennbar, dass das Umfeld in dem sich ein Mensch bewegt, wesentlichen Einfluss auf dessen Gesundheit und auch den Genesungsprozess hat. Das bestätigt auch Dr. Harr: „Das soziale Umfeld, ob Freunde oder Familie, hat immer Einfluss auf die Erkrankung, ob nun körperlich oder psychisch. Es hängt immer davon ab, wie Angehörige mit der Erkrankung umgehen – nehmen sie diese an und sprechen innerhalb der Familie darüber? Ignorieren sie die Tatsache, dass ein lieber Mensch unter einer seelischen Erkrankung leidet oder sprechen sie ihm gar seine Erkrankung ab, getreu der Haltung `hab dich nicht so´?“ Je offener das Thema angesprochen wird, desto besser kann der Betroffene damit umgehen und die Erkrankung zulassen und verarbeiten.

Zunahme an psychischen Erkrankungen

Doch woher kommen psychische Erkrankungen eigentlich? Hierzu, erklärt der Experte, gibt es verschiedene Ansätze und Theorien. Klar und statistisch belegbar jedenfalls ist, dass psychische Erkrankungen in den letzten 20 Jahren deutlich gestiegen sind. „In einer sehr umfangreich angelegten wissenschaftlichen Untersuchung haben die Forscher herausgefunden, dass Arbeitnehmer 1997 im Durchschnitt 78 Tage im Jahr aufgrund einer psychischen Erkrankung von ihrer Arbeit fernblieben. 2017 hat sich die Zahl auf 275 Tage pro Jahr erhöht.“ Ein deutliches Zeichen. Die Ursachen sehen die verschiedenen Ansätze und Theorien zum einen in einer stetig wachsenden Autonomisierung der Menschen, also der Loslösung von ehemals fest bestehenden Strukturen wie Vereinen, Familien oder anderen Gruppen. „Die Loslösung aus einem sozialen Kontext heraus birgt immer sehr viele Chancen, zugleich aber eben auch die Gefahr, dass das Netz, das Halt und Struktur bietet, verloren geht. Man kennt das ja auch von sich selbst: Erst wenn etwas weggebrochen oder nicht mehr da ist, merkt man, was fehlt.“ Ein anderer Ansatz, so sehen es Experten, ist eine Enttabuisierung psychischer Erkrankungen. „Das ist eine erfreuliche Entwicklung – denn psychische Erkrankungen sind, bleiben sie unentdeckt und unbehandelt, häufig viel langwieriger zu behandeln und damit ist auch der Leidensdruck für die Betroffenen wesentlich stärker. Die Gesellschaft ist mittlerweile offener gegenüber der Akzeptanz psychischer Krankheiten – das hängt auch mit langjährigen Aufklärungskampagnen zusammen.“ Zudem, weiß Dr. Harr, sind auch die Diagnosemöglichkeiten heute deutlich besser, was ebenfalls erklärt, warum die Zahlen steigen.

Worauf muss ich achten?

Rund 200 Patientinnen und Patienten betreuen Dr. Harr und sein Team im Jahr stationär. Die häufigsten Erkrankungen, die in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie behandelt werden, sagt Dr. Harr, sind Depressionserkrankungen und neurotische Störungen. Hierzu zählen beispielsweise Angsterkrankungen. „Im Prinzip gilt bei psychischen Erkrankungen dasselbe wie bei körperlichen Leiden - beispielsweise wissen wir heute, dass Rauchen schädlich für unsere Gesundheit ist – wenn ich also Krebs vorbeugen will, muss ich mit dem Rauchen aufhören. Genauso verhält es sich mit der psychischen Gesundheit. Ein Gleichgewicht zwischen Anstrengung und Entspannung ist hier wichtig. Auch ausreichend Schlaf, Bewegung, gesunde Ernährung und das Aufrechterhalten von sozialen Kontakten können präventiv wirken“, rät Harr. An sich selbst kann man häufig schon erste mögliche Anzeichen einer psychischen Erkrankung entdecken: länger anhaltende Schlafstörungen, Gereiztheit – auch bei Kleinigkeiten -, Konzentrationsstörungen oder häufiger auftretende soziale Konflikte können erste Warnzeichen sein. Deshalb empfiehlt Dr. Harr, als erste Anlaufstelle den Hausarzt aufzusuchen. „Häufig ist es für Betroffene sehr schwierig, den richtigen Ansprechpartner im Dschungel der Berufsbezeichnungen zu finden. Es gibt schließlich Psychologen, Psycho- und Verhaltenstherapeuten, psychologische Psychotherapeuten… Da ist der Hausarzt eine gute Anlaufstelle, der hier die richtigen Tipps geben und Weichen stellen kann.“

 

Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

weitere Bilder